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Design for Recycling vs. Design for Circularity: Was Unternehmen wissen sollten

Von linearem zu zirkulärem Denken

Die lineare „take‑make‑dispose“-Wirtschaft erzeugt große Mengen Abfall und verbraucht enorme Mengen an Primärressourcen. Um die Umweltbelastung zu reduzieren, führen Regierungen zunehmend strengere Regelungen ein. Die EU‑Verordnung über Ökodesign für nachhaltige Produkte (ESPR) trat am 18. Juli 2024 in Kraft und soll die Kreislaufwirtschaft vorantreiben. Sie fordert u. a., dass Produkte weniger Energie verbrauchen, länger nutzbar und reparierbar sind, sich leicht zerlegen lassen, weniger gefährliche Stoffe enthalten und leicht recycelbar sind bzw. mehr recycelten Inhalt aufweisen. Dies zeigt: Nachhaltiges Design ist nicht mehr optional, sondern wird zum gesetzlichen Mindeststandard.

Was bedeutet „Design for Recycling“?

Design for Recycling bedeutet, Produkte so zu gestalten, dass sie am Ende ihres Lebenszyklus recycelt werden können. Laut einer Übersicht der Sustainability Directory geht es darum, Produkte zu vereinfachen und recyclinggerecht zu konstruieren: Es sollten bevorzugt Materialien verwendet werden, die in vorhandenen Anlagen leicht recycelt werden können, wie PET, HDPE, Glas, Aluminium oder Papier. Verbunde und mechanisch oder chemisch verbundene Materialien sollten vermieden werden, stattdessen sind mono‑ oder leicht trennbare Materialien zu wählen. Weitere zentrale Prinzipien sind:

  • Design for Disassembly (DfD) – Produkte sollten sich leicht in einzelne Werkstoffe zerlegen lassen, beispielsweise durch reversible Befestigungselemente statt dauerhaft verklebter Verbindungen. Ein modularer Aufbau unterstützt die Wiederverwendung von Komponenten.

  • Materialdiversität minimieren – Weniger unterschiedliche Materialien erleichtern die Sortierung und erhöhen die Recyclingqualität

  • Klare Kennzeichnung – Die Kennzeichnung der Materialien und Recyclinghinweise erleichtern das Sortieren und steigern die Recyclingquote.

Laut einer aktuellen systematischen Übersichtsarbeit bestimmen 80–90 % der Recyclingkosten und -erlöse bereits die Entscheidungen in der frühen Produktentwicklung. DfR gilt daher als wirksames Werkzeug, um Kreislauffähigkeit zu erreichen, indem Produkte so gestaltet werden, dass sie am Ende ihres Lebenszyklus leichter zu demontieren und zu recyceln sind.

Beispiele für DfR

  • Getränkeflaschen aus PET: Einfache Mono‑Material‑Verpackung, die in bestehenden Recyclingströmen gut erfasst wird.

  • Elektronikgeräte: Häufig komplexe Materialkombinationen; DfR empfiehlt modulare Bauweise, reversible Befestigungen und Verzicht auf unnötige Verbundwerkstoffe, damit wertvolle Metalle und Kunststoffe zurückgewonnen werden können.

Was bedeutet „Design for Circularity“?

Design for Circularity (manchmal Design for Circular Economy) erweitert das Konzept über die reine Recyclingfähigkeit hinaus. Es integriert alle Phasen des Produktlebenszyklus – von der Rohstoffgewinnung über Produktion und Nutzung bis zum Ende – und zielt auf geschlossene Kreisläufe ab. Die Sustainability Directory definiert Design for Circularity als „Ausweitung des Designs für Recycling auf das gesamte Kreislaufwirtschafts‑Framework“. Dies beinhaltet neben Recycling auch Langlebigkeit, Reparierbarkeit, Wiederverwendung und Remanufacturing. Im Mittelpunkt steht der Systemansatz: Material- und Energieflüsse werden unternehmens‑ und branchenübergreifend optimiert, unterstützende Richtlinien (z. B. erweiterte Produzentenverantwortung) werden einbezogen und gesellschaftliches Verhalten wird berücksichtigt.

Der Interaction Design Foundation stellt drei Kernprinzipien des zirkulären Designs heraus:

  1. Abfall und Verschmutzung eliminieren – Materialien und toxische Stoffe sollen gar nicht erst in den Kreislauf gelangen.

  2. Produkte und Materialien im höchstmöglichen Wert halten – Geräte werden langlebig konstruiert, reparierbare Module erleichtern den Austausch von Verschleißteilen, und Recyclingprozesse dürfen die Materialqualität nicht erheblich mindern.

  3. Natürliche Systeme regenerieren – biologische Abfälle wie organische Reststoffe werden kompostiert und der Natur zurückgeführt.

Während „Design for Recycling“ vor allem das Ende des Lebenszyklus adressiert, umfasst Design for Circularity das Gesamtsystem. Es fordert eine Veränderung des Geschäftsmodells, etwa vom reinen Produktverkauf zum Produkt‑als‑Dienst (PaaS), ermöglicht durch digitale Produktpässe und transparente Lieferketten. Dieser Ansatz fördert langlebige und reparierbare Produkte (z. B. Fairphone‑Smartphone oder Patagonias Worn‑Wear‑Programm).

Ansatzpunkte für produzierende Unternehmen

Die Umsetzung von DfR und DfC ist nicht trivial, doch es gibt konkrete Ansatzpunkte, die Unternehmen helfen, ihre Produkte kreislauffähiger zu gestalten.

1. Materialien und Stoffauswahl

  • Monomaterialien bevorzugen: Nutzen Sie Kunststoffe wie PET oder HDPE, Metalle wie Aluminium oder papierbasierte Materialien, die in bestehenden Kreislaufsystemen etabliert sind. Vermeiden Sie komplexe Verbundwerkstoffe oder mehrere Materialtypen in einem Produkt.

  • Rezyklate und biobasierte Rohstoffe: Laut Devera reduziert der Einsatz biobasierter Materialien (z. B. myzelbasierte Verbundwerkstoffe oder Textilien aus Algenfasern) die CO₂‑Emissionen um 30–35 % Durch den Einsatz von Rezyklaten erfüllt man zugleich die ESPR‑Forderung nach höherem Recyclinganteil.

2. Design for Disassembly und Modularität

  • Leicht zerlegbare Verbindungstechnik: Ersetzen Sie permanente Klebstoffe durch mechanische Verbindungselemente wie Schrauben oder Clips. Neue EU‑ und US‑Regelungen verlangen reparierbare und recycelbare Produkte; mechanische Befestiger und standardisierte Werkzeuge sollen das Zerlegen erleichtern.

  • Modularer Aufbau: Jedes Teil sollte sich unabhängig ersetzen lassen; „Design for Disassembly“ ist die Entwicklung von Bauteilen, die nach dem Ende der ersten Lebensphase wiederverwendet werden können, ohne sie einschmelzen oder recyceln zu müssen. Dies erleichtert Reparaturen und reduziert den Bedarf an Neuteilen.

3. Langlebigkeit und Reparierbarkeit

  • Qualität vor Quantität: Wählen Sie hochwertige, langlebige Materialien und verstärken Sie Produkte durch robuste Nähte, Beschichtungen oder wasserfeste Designs. Die Interaction Design Foundation hebt hervor, dass dauerhafte Produkte durch durchdachte Konstruktion länger nutzbar bleiben.

  • Reparaturfreundliches Design: Stellen Sie Ersatzteile und Reparaturanleitungen bereit; modulare Geräte wie Fairphone ermöglichen den Austausch einzelner Komponenten und verlängern damit die Nutzungsdauer. Programme wie „Patagonia Worn Wear“ zeigen, dass Reparaturservices die Kundenzufriedenheit erhöhen und Ressourcen sparen.

4. Digitale Produktpässe und Lebenszyklus‑Analyse

  • Digitale Produktpässe (DPPs): Die ESPR verlangt DPPs für verschiedene Produktgruppen ab 2026/2027. Sie sollen Informationen über Materialzusammensetzung, Reparierbarkeit und Umweltfußabdruck bereitstellen. Frühzeitige Einführung erleichtert die Rückverfolgung, unterstützt Wiederverwendung und Recycling und steigert das Vertrauen der Verbraucher.

  • Lebenszyklus‑Analysen (LCA): Digitale LCA‑Tools ermöglichen Echtzeitbewertungen der Umweltauswirkungen und unterstützen Designentscheidungen. Devera betont, dass automatisierte LCAs bereits im Entwurfsprozess integriert werden können, um Umweltoptimierungen durch Materialwechsel und Konstruktionsanpassungen zu identifizieren. In einem Fallbeispiel führte der Materialaustausch in einer Denim‑Kollektion zu einer 19 %igen Reduktion der CO₂‑Emissionen; gleichzeitig stieg die Kundenbindung um 12 %.

5. Kreislauf‑Geschäftsmodelle und Rücknahmeprogramme

  • Servicebasierte Modelle: Der Umstieg vom Produktverkauf zum Leasing oder „Product‑as‑a‑Service“ fördert Wiederverwendung und Remanufacturing. Der Interaction Design Foundation weist darauf hin, dass circular design neue Einnahmequellen durch Rücknahme‑ oder Refurbishment‑Programme schafft.

  • Rücknahmesysteme etablieren: Kunden sollten alte Produkte zurückgeben können. Essentra prognostiziert, dass Endnutzer künftig daran gewöhnt sein werden, veraltete Produkte an Hersteller zurückzugeben, damit diese Bauteile zerlegen und wiederverwenden können.

6. Zusammenarbeit in der Lieferkette und Politik

  • Branchenübergreifende Kooperation: DfC erfordert Kooperation zwischen Herstellern, Lieferanten, Recyclingunternehmen und Regulierungsbehörden. Die Sustainability Directory betont, dass systemweite Materialflüsse, Politikanreize (z. B. erweiterte Produzentenverantwortung) und gesellschaftliches Verhalten berücksichtigt werden müssen, um echte Kreisläufe zu schaffen.

  • Regulatorische Anforderungen beobachten: Halten Sie sich über EU‑Regelungen wie ESPR, WEEE, die Batterieverordnung und branchenspezifische Ökodesign-Verordnungen auf dem Laufenden. Eine vorausschauende Planung ermöglicht es, Anforderungen zu erfüllen und Innovationspotenziale frühzeitig zu nutzen.

Vorteile für Unternehmen

Die Umstellung auf Design for Recycling und Design for Circularity ist nicht nur eine ökologische, sondern auch eine ökonomische Chance.

  • Kosteneinsparungen und neue Umsatzquellen: Durch die Wiederverwendung von Materialien sinken die Ausgaben für Primärrohstoffe. Circular design senkt Produktionskosten und schafft neue Einnahmequellen etwa durch Rücknahme- oder Refurbishment‑Programme

  • Innovation und Wettbewerbsfähigkeit: Firmen, die auf zirkuläres Design setzen, können sich als Pioniere positionieren. Real‑Time‑LCAs und digitale Produktpässe fördern schnelle Produktinnovationen und stärken die Kundenbindung; in einem Fallbeispiel führte dies zu einem zweistelligen Anstieg der Kundenloyalität.

  • Regulatorische Compliance: Unternehmen erfüllen gesetzliche Vorgaben wie ESPR, WEEE oder die End‑of‑Life‑Fahrzeugrichtlinie und minimieren so rechtliche Risiken. Die ESPR definiert reparierbare, langlebige und recyclingfreundliche Produkte als neuen Standard.

  • Markenwert und Kundentreue: Konsument*innen bevorzugen zunehmend nachhaltige Marken. Beispiele wie Fairphone, Patagonia oder Adidas zeigen, dass zirkuläre Produkte Kundenbeziehungen vertiefen und eine positive Markenwahrnehmung fördern.

  • Resilienz in der Lieferkette: Durch modularen Aufbau und wiederverwendbare Komponenten sind Unternehmen weniger abhängig von volatilen Rohstoffmärkten. Essentra betont, dass DfD eine zusätzliche Quelle für Materialien darstellt und Unternehmen hilft, Lieferengpässe zu überwinden.

  • Reduzierter ökologischer Fußabdruck: Bio-basierte Materialien und geschlossene Kreisläufe senken Emissionen und schonen Ressourcen; Bio-Materialien können den CO₂‑Fußabdruck um 30–35 % verringern. Langlebige Produkte reduzieren Abfall und unterstützen die Ziele des EU‑Green‑Deal.

Fazit

Design for Recycling ist ein wichtiges Element der Kreislaufwirtschaft – doch Design for Circularity geht darüber hinaus. Es erweitert den Blick auf den gesamten Lebenszyklus, fordert neue Geschäftsmodelle und fördert Kooperationen entlang der Wertschöpfungskette. Der Wandel zu zirkulärem Design ist nicht nur eine Reaktion auf strengere Gesetze, sondern eröffnet Unternehmen auch wirtschaftliche Chancen und stärkt ihre Wettbewerbsfähigkeit. Produzierende Unternehmen, die heute in kreislauffähiges Design investieren, sichern sich morgen einen Vorsprung in einer ressourcenbegrenzten Welt.


Quellen:
- circularise.com
- pollution.sustainability-directory.com
- mdpi.com
- interaction-design.org
- devera.aidevera.ai
- essentracomponents.com

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Lieferkettensicherheit trifft Kreislaufwirtschaft: Warum zirkuläre Beschaffung jetzt noch wichtiger wird

Lange Zeit war Nachhaltigkeit das Hauptargument für die Kreislaufwirtschaft. Unternehmen setzten auf Recycling, Wiederverwendung und Ressourcenschonung, um ihre Umweltbilanz zu verbessern. Doch in den letzten Jahren hat sich ein neuer, ebenso dringender Grund hinzugesellt: die Sicherheit und Resilienz von Lieferketten.

Neue Herausforderungen für Lieferketten

  • Die COVID-19-Pandemie hat gezeigt, wie fragil globale Lieferketten sind. Plötzlich fehlten essenzielle Rohstoffe und Produkte - von Mikrochips bis zu Medikamenten.

  • Politische Spannungen und geopolitische Konflikte führen dazu, dass Lieferketten unzuverlässiger und Rohstoffe teurer werden.

  • Die EU-Gesetzgebung reagiert mit Maßnahmen wie dem „Critical Raw Materials Act“ und dem „Clean Industrial Deal“, die eine sichere und nachhaltige Rohstoffversorgung in Europa fördern.

Diese Entwicklungen zeigen klar: Die Kreislaufwirtschaft ist nicht nur eine ökologische Strategie, sondern auch ein wirtschaftlicher und geopolitischer Imperativ.

Was bedeutet das für deutsche Unternehmen?

  1. Zirkularität wird geschäftskritisch

    Bisher stand Nachhaltigkeit im Fokus der Kreislaufwirtschaft - jetzt kommen wirtschaftliche und strategische Vorteile hinzu. Unternehmen, die auf regionale, zirkuläre Beschaffung setzen, werden unabhängiger von globalen Krisen und Lieferengpässen.

  2. neue Bewertungskriterien

    Life Cycle Assessments (LCAs) und R-Strategien (Reduce, Reuse, Recycle etc.) reichen nicht mehr aus. Entscheidend wird, woher Materialien stammen, durch welche Länder sie reisen und welche geopolitischen Risiken bestehen. Unternehmen müssen ihre Beschaffungsstrategien überdenken und neue Bewertungsmetriken entwickeln.

  3. Beschleunigung der Transformation

    Internationale Lieferketten werden teurer und unsicherer. Gleichzeitig treiben neue politische Rahmenbedingungen die Umstellung auf zirkuläre Geschäftsmodelle voran. Wer jetzt handelt, sichert sich Wettbewerbsvorteile.

Wie können Unternehmen reagieren?

  • Lieferkettenanalyse durchführen: Wo gibt es Abhängigkeiten von unsicheren oder schwer zugänglichen Rohstoffen?

  • Zirkuläre Beschaffung priorisieren: Recyclingmaterialien, Second-Life-Produkte und regionale Lieferanten reduzieren Risiken.

  • Neue Geschäftsmodelle prüfen: Sharing, Refurbishment oder Materialleasing können unabhängiger von Rohstoffimporten machen.

  • Politische Entwicklungen beobachten: Gesetzliche Anforderungen und Förderprogramme nutzen, um sich frühzeitig anzupassen.

Fazit: Zirkularität ist der Schlüssel zur resilienten Lieferkette

Die Zeiten, in denen Kreislaufwirtschaft nur eine Nachhaltigkeitsstrategie war, sind vorbei. Unternehmen, die ihre Beschaffung zirkulär und regional ausrichten, sichern sich wirtschaftliche Stabilitat, Unabhängigkeit und Innovationskraft.

Jetzt handeln bevor der nächste Lieferengpass zuschlägt!

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